Mit "Dieser verdammte Lärm!" betitelte Bent Freiwald als Krautreporter am 15.03.2018 eine Kolumne über das Lehrerdasein in Deutschland (https://krautreporter.de/2339-dieser-verdammte-larm?shared=eyJzaGFyZWRCeSl6lkJlbnQgRnJlaXdhbGQifQ, Abruf am 27.03.2019).
In "Dieser verdammte Lärm!" bricht Bent Freiwald eine Lanze für das Lehrerdasein: Jeder meint, den Lehrerberuf zu kennen, aber dies ist Mitnichten so.
Im Lehreralltag bringt Bent Freiwald in seinem Blog-Artikel folgende Schwierigkeiten in sehr angenehmer und witziger Art zur Sprache:
- Lehrer ist nicht nur ein Beruf, sondern beinhaltet viele (Jurist, Entertainer, Polizist, Zukunftsplaner, Manager, Schlichter)
- Ansehen des Berufs Lehrer in der Gesellschaft
- Kompetenzüberschreitungen von Eltern
- Lärmpegel in den Klassen
- Pausen sind eben nicht Pausen
- Raum - der 4. Pädagoge
- volles Rampenlicht 8 Stunden am Tag
- Dompteur
- Improvisation im Lehrerjob
- Emotionale Bindung
- Inklusion
- Reformüberfluss nach politischen Interessen
Seine Ausführungen bringen mich zu folgenden Leitfragen, die ich im folgenden Dialog gerne näher beleuchten möchte:
- Was läuft schief im Lehrerdasein (deutschlandweit, der Artikel "Vom Lärm und Alltag" von Freiwald wurde für das Berlinerische geschrieben).
- Worin leidet das Ansehen von Lehrerinnen und Lehrern?
- Wo ist das Vertrauen hin?
Was läuft schief im Lehrerdasaein

Bildungssache ist Ländersache und je nachdem, wer an die Regierung kommt, entscheidet wie Bildung weiter geht. Die Legislaturperiode des Landtages ist 5 Jahre. Eine Reform konsolidiert sich jedoch erst nach 6 Jahren. Bisher reformierten die Regierungsparteien bei Wechseln immer wieder die Bildung mit neuen Lehr- und Bildungsplänen. Die Reform von der Reform von der Reform lässt zur Konsolidierung innerhalb einer Legislaturperiode keine Zeit.
Konsolidierungsvorgänge lassen sich im schulischen Bereich wie folgt Beschreiben:
- Sichtung der reformierten Teile der Bildung und Abgleich mit dem Schulprofil
- Einarbeitung der Reform in die schuleigenen Curricula
- ggf. Modifizierung oder Neuerstellung von Unterrichtsmaterialien, der Unterrichtsmethoden und des Unterrichtsgangs
- Einführung und Probeläufe der modifizierten oder neu hergestellten Unterrichtsmaterialien und Unterrichtsmethoden
- Evaluation des Unterrichtsgangs und der Unterrichtsmethoden
- ggf. Verbesserung der Materialien, der Methoden und/oder des Unterrichtsganges
- erneute Anwendung
- danach erneute Überprüfung
Dieser Konsolidierungsvorgang benötigt Zeit und Ressourcen von Lehrerseite, so dass bei zu kurzen Konsolidierungszeiträumen die Lehrerinnen und Lehrer, die ernsthaft die Reform mitmachen möchten, in Ressourcen- und Zeitmangel kommen und dadurch sich Stress aufbaut.
Weiter geht Reformwut zu lasten der Schülerinnen und Schüler. Kommen die Schulen nicht zur Ruhe, um Reformen zu konsolidieren, dann geht das auch auch Lasten der Leistungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler (vgl. Hollenstein 2019).
Das eigentliche Kerngeschäft des Lehrkörpers ist eigentlich das Lehren. Heutige Ansprüche an den Lehrerberuf verlangen mehr Kompetenzen. Ich zähle hier einige Beispiele auf:
- Die Erziehung wird ausgelagert und ist nicht mehr zentraler Teil der Familie (vgl. da Silvia 2017 und SWR3-Topthema vom 03.04.2019 https://www.swr3.de/podcasts/SWR3-Topthema/-/id=279178/did=447000/160tab/index.html).
- Außerschulische Aktivitäten stehen in Konkurrenz zum Kerngeschäft. Eine Schule die sich nur um das Kerngeschäft kümmert, bekommt keine Schülerinnen und Schüler mehr. Vielfältige Angebote zur Förderung des eigenen Kindes sind erwünscht. Benötigen aber wiederum Lehrkräfte, die sich darum kümmern (vgl. Klett-Themendienst 47 vom November 2009, Abruf am 03.04.2019).
- Lernen soll mit Freude und Spaß funktionieren. Am besten man bekommt mit wenig Aufwand beste Noten. Hierzu kursieren im Netz sehr viele Lernstrategie-Vermittler, die versprechen mit wenig aufwand die Besten Noten zu schreiben: https://de.wikiHow.com, https://studis-online.de und sogar Spiegel Online (allesamt am 03.04.2019 abgerufen). Leider ist auch Lernen Arbeit, fordert Energie und wird dadurch vermieden. Unser Gehirn ist gerade mal 2% unseres Körpergewichts schwer, beansprucht jedoch 20% der gesamten Energie. Diese Energiemenge kann man mit dem Leuchten einer 25-Watt-Birne vergleichen (vgl. hierzu Abels 2008).
- Fehlendes Vertrauen von Seiten der Eltern in die fachliche und pädagogische Kompetenz einer studierten Lehrkraft kostet Zeit in fortwährender kreisartiger Kommunikation mit den Eltern.
Um das Ansehen von Bildung (auch indirekt über das Ansehen der Lehrerinnen und Lehrer) zu steigern, benötigt es meiner Ansicht nach folgendes:
- Was nichts kostet ist nichts Wert. Dieses alte Sprichwort lässt sich auch auf Bildung in Deutschland übertragen. Überall im Landeshaushalt wird gespart vor allem in Bildung. Neben Deutschland investieren nur noch Italien und Japan noch weniger in Bildung im internationalen Vergleich (vgl. Bax 2019).
- Ein vertrauensvoller und wertschätzender Umgang von Lehrpersonal mit Erziehungsberechtigten steigert auf beiden Seiten Zufriedenheit.
- Von Haus aus, sollten Schülerinnen und Schüler einen Weg gezeigt bekommen, wie sie ihre Werte definieren und wie sie ihre Werte einstehen.
- Auch die Methodik des Verschiebens des Lernens nach Hause in Form von 2-3 Stunden täglicher Hausaufgabenarbeit muss geändert werden. Hierzu sind nicht nur die Lehrkräfte selbst, sondern auch die Regierung im Zugzwang, etwas zu tun.
Worin leidet das Ansehen von Lehrerinnen und Lehrern?
Abstraktion
Abstraktion ist nicht greifbar. Ein Zahnarzt repariert oder reinigt Zähne. Das kann man sehen. Ein Architekt entwirft Häuser und lässt sie bauen. Das kann man sehen. Ein Verkäufer verkauft Waren oder Dienstleistungen. Das kann man im Geldbeutel spüren.
Eine Lehrkraft jedoch lehrt Wissen und Methode. Das kann man nicht sehen. Die Leistungsmessung (Klausur, Arbeit oder Absage) ist das einzige Maß, welches Ergebnisse des Lernens messbar und somit greifbar machen. Methodik sieht man im Tun. Aber leider erst später. Was als unnütze Lernmethodik am Anfang nicht einleuchtet, das leuchtet erst später bei vielfältigen Problemorientierungen und deren Lösungspflicht ein. Ich selbst hatte viele Abiturienten, die mir nach dem Ende ihrer Schulkarriere mit erfolgreichem Abschluss dankten, dass ich mehr als Stoff beigebracht habe. Vorher hatte ich jedoch mit Schülern und Eltern viele lange Gefechte auszustehen, wurde zu Elternabenden eingeladen um mich für meine Pädagogik, Methodik und Didaktik zu rechtfertigen. Hatte zahlreiche Elternvertreter- und Elterngespräche. Ich blieb jedoch meiner Linie treu. Der Dank der Abiturienten ist der Lohn für dieses Durchhalten.
Fachsprache
Ein weiterer Punkt ist Fachsprache: Ein Mediziner spricht oft in Abkürzungen und lateinischen Ausdrücken, die der Patient oder Otto Normalverbraucher nicht unbedingt versteht. Daher ist die Arbeit ja schon wichtig.
Ein Architekt beschreibt Bauvorhaben in seiner eigenen Architektensprache, die nur eingeweihte verstehen können. Der Lehrkörper jedoch hat gelernt, komplizierte Sachverhalte herunterzubrechen. Die Sprache des Lehrers versteht somit jeder. Das verleiht zum Pseudowissen und zum Mitreden wollen, da man ja das versteht, was die Fachkraft sagt.
Politik
Ein nächster Punkt ist die Politik (vergl. die Ausführungen in "Was läuft schief im Lehrerdasein" weiter oben). Außerdem ist Bildung Streit- und Wahlkampfthema Nr. 1 in Deutschland. Bildung ist von der Politik auch das leichtest zu ändernde Thema. Lobbies haben viel zu viel Macht, so das die Politik nur zäh und mit viel Zeitschinderei an Großkonzerne geht.
So kündigte Frau Angela Merkel 2001 die Energiewände an. Mit dem EEG, dem erneuerbareen Energiengesetz wurde gesetzlich die Grundlage gelegt. Jedoch in einem Zeitfenster von 29 Jahren (vgl. Naumann 2018)! Wir erinnern uns, Bildung hat einen Lebenszyklus von 5 Jahren, danach wird wieder neu reformiert.
Kinder schützen wollen
Jeder der Kinder hat, begreift ein grundsätzliches Bedürfnis: Das Kind beschützen zu wollen. Wir Eltern wollen immer nur das Beste für unser Kind, das legen wir uns selbst als Fürsorgepflicht auf (vgl. Greiner 2015). Hinzu kommt die Angst vor schlechten Noten bei den Eltern. Ihr Kind soll es ja später mal besser haben, als sie selbst.
Selbsterfahrung und Vorurteile
Ein weiterer, nicht zu verachtender Punkt Selbsterfahrung: Selbsterfahrung der Eltern mit Lehrern und Schule. Machen Eltern in ihrem Schulleben schlechte Erfahrungen mit Lehrkörpern und Schule, so lernen sie einen negativen Bezug zu Schule und Lehrkräften. Diese schlechte Erfahrung wird auf das Kind übertragen.
Der amerikanische Psychologe Joshua Carrell überprüfte in einem Experiment, wie Vorurteile Verhalten beeinflussen in dem er Versuchspersonen in sehr kurzen Zeitabständen Fotos von schwarzen und weißen Männern zeigte, die in der Hand entweder eine Waffe oder ein harmloser Fotoapparat hielten. Die Aufgabe an die Probanden war, in Sekundenschnelle zu entscheiden, ob der eingeblendete Mann eine Gefahr darstellt oder nicht und die bewaffneten Männer zu erschießen.
Auffällig war, das die Probanden mehr unbewaffnete Schwarze als unbewaffnete Weiße erschossen. Dies lies nur einen Schluss zu: scheinbar brachten die Probanden eine dunkle Hautfarbe automatisch mit Gefahr in Verbindung. Die kurze Zeitspanne, in der die Fotos gezeigt wurden, ließ keine Zeit, die Einordnung zu überdenken (vgl. Weik 2019).
Als Pygmalion- oder Rosenthal-Effekt ging folgendes vom amerikanischen Psychologen Robert Rosenthal in den 60er-Jahren untersuchten Phänomens in die psychologische Literatur ein.
Rosenthal führte in den 60er bei Schülern einen Intelligenztest durch. Dem Lehrer der Klasse jedoch gab er nur eine zufällige Auswahl an Namen und erwähnte gegenüber dem Lehrer, dass diese Schüler "Spätzünder" seien, und würden im nächsten Schuljahr aufblühen.
Daraufhin veränderte der Lehrer sein Lehrverhalten gegenüber diesen Schülern: Er förderte sie mehr und sorgte für ein besseres Arbeitsklima und ermutigte sie.
Danach führte er nochmals nach acht Monaten den Intelligenztest bei den genannten Schülern durch und stellte fest, dass diese nun deutlich besser abschnitten (s. ebenda).
Zu wenig Lehrer und zu wenig Mündigkeit
Im Welt-Artikel "Woran es der "Bildungsnation Deutschland" mangelt" vom 27.10.2019 beschreibt Philip Elsen (Lehrer für Politik, Geschichte und Sport am Beethoven-Gymnasium in Berlin) dass im Moment zur Unmündigkeit in der Schule erzogen wird. Dies läge nicht nur daran, dass es zu wenig Lehrerinnen und Lehrer gibt, sondern auch daran, dass die Kolleginnen und Kollegen an den Schulen alleine gelassen würden. Außerdem fehle es oftmals an jeglichem Optimismus und einer positiven Vorstellungskraft und differenzierten Diskussion darüber, wie die kulturelle Leitidee Bildung konkret aussehen könne. Das führt uns zu folgendem Fazit: erst wenn wir uns klar darüber werden, wie Bildung nachhaltig und dem heutigen und zukünftigen Anspruch gerecht wird (analytisches, wissenschaftlich begründetes und kreatives Denken; Entwicklung einer mündigen Persönlichkeit; Digitalisierung und Automatisierung; ökologische Nachhaltigkeit; soziale Gerechtigkeit), können wir richtig Lehren und dann zur Mündigkeit erziehen. Einem Recht das uns jedes Schulgesetz eines jeden Landes in Deutschland dirigiert.
Literatur:
Abels, K. (2008). Macht denken schlank? Internet https://vitruv.uni-tuebingen.de/ilias3/data/pr01/lm_data/lm_1171/ArtikelSchlank.html. Abruf am 03.04.2019
Bax, M (2019). Deutsche Bildungsfinanzierung im internationalen Vergleich. bildungsxperten-netzwerk. Internet https://www.bildungsxperten.net/wissen/deutsche-bildungsfinanzierung-im-internationalen-vergleich/. Abruf am 02.04.2019
Elsen, Philip (2019). Woran es der "Bildungsnation Deutschland" mangelt. welt.de. Internet: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article202562244/Schulen-Woran-es-der-Bildungsnation-Deutschland-mangelt.html. Abruf am 28.10.2019.
Greiner, L. (2015). Eltern kämpfen mit Lehrer: "Ich gehe jetzt zum Anwalt" - Spiegel Online. Internet http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/eltern-kaempfen-mit-lehrer-ich-gehe-jetzt-zum-anwalt-a-1056442.html. Abruf am 05.04.2019
Hollenstein, O. (2019). Ist der Schulfrieden am Ende. Zeit online. Internet https://www.zeit.de/hamburg/2019-01/abitur-hamburg-g8-g9-gymnasien-cdu?wt_zmc=sm.ext.zonaudev.facebook.ref.zeitde.share.link.x&utm_medium=sm&utm_source=facebook_zonaudev_ext&utm_campaign=ref&utm_content=zeitde_share_link_x. Abruf: 17.04.2019
Naumann, M (2018). Energiewende in Deutschland: Probleme, Lösungen und Ziele - Utopia.de. Internet: https://utopia.de/ratgeber/energiewende-in-deutschland-probleme-loesungen-und-ziele/. Abgerufen am 05.04.2019
da Silvia, R. A. (2017). Lehrer schreibt Wunschliste an Eltern. Bitte, danke, Müll wegräumen. Spiegel online. Internet: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/lehrer-fordert-mehr-erziehung-im-elternhaus-a-1131838.html. Abruf am 03.04.2019
Weik, S. (2009). Psychologie: Warum wir Vorurteile nicht loswerden können - WELT. Internet https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article4182227/Warum-wir-Vorurteile-nicht-loswerden-koennen.html. Abruf: 05.04.2019.
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